Seit fünf Jahren gibt es den ambulanten Kinderhospiz-Stützpunkt Löwenherz in Braunschweig. Wie sich das Geschehen vor Ort in den vergangenen Jahren entwickelt hat und warum die ambulante Arbeit vor Ort so wichtig ist, haben wir als kleines Geburtstagsgeschenk aufgeschrieben. Und natürlich eine unserer Ehrenamtlichen zu Wort kommen lassen.

Als Monika Wels aus Vordorf in der Zeitung liest, dass Löwenherz einen ambulanten Kinderhospiz-Stützpunkt in Braunschweig aufbaut und ehrenamtliche Kinderhospizbegleiter sucht, legt sie sich fest. Ja, das möchte ich machen. Ja, ich möchte betroffene Familien unterstützen und entlasten. Fünf Jahre ist das nun her. Zeit für einen Rückblick.
Löwenherz-Infoveranstaltung beeindruckt nachhaltig
An die erste Infoveranstaltung im Marienstift Braunschweig vor fünf Jahren kann sich Monika Wels noch lebhaft erinnern. „Der Stützpunkt befand sich ja gerade erst im Aufbau, aber das Treffen war sehr gut besucht. Wir saßen in einem Stuhlkreis, die Mitte war schön gestaltet und die Atmosphäre hat mich nachhaltig beeindruckt“, sagt die 62-Jährige. „Direkt im Anschluss habe ich ein Erstgespräch vereinbart – und kurze Zeit später begann auch schon die Schulung, bei der ich auf die Herausforderungen der ambulanten Begleitung vorbereitet wurde.“
„Ich wusste, dass ich bei Löwenherz richtig aufgehoben bin.“
Monika Wels, Löwenherz-Ehrenamtliche
Welche Krankheitsbilder gibt es? Wie wirkt sich die Dauerbelastung durch die Pflege eines unheilbar erkrankten Kindes auf die Familie aus? Wie kann man mit Trauer, Krankheit, Sterben und Tod umgehen? Monika Wels taucht tief in die Welt der Kinderhospizarbeit ein. Eine Welt, die für viele Menschen nur schwer oder gar nicht zu fassen ist. „Also, ich könnte das ja nicht“ – ein Satz, den sicherlich alle Löwenherzen schon mehr als einmal gehört haben. Warum also gerade dieses Ehrenamt?

„Ich arbeite schon lange ehrenamtlich bei der St. Stephani-Kirchengemeinde in Meine, bei den Kindergottesdiensten, und wollte mich zusätzlich für die ambulante Hospizarbeit schulen lassen“, erklärt die engagierte Hausfrau und Mutter. Allerdings habe sie dieses Vorhaben immer wieder hinausgeschoben. Bis zu jenem Tag, als sie besagten Artikel in der Zeitung las. „Und weil ich vor vielen Jahren eine Sendung im Fernsehen über das stationäre Kinderhospiz Löwenherz in Syke gesehen habe, wusste ich, dass ich bei Löwenherz richtig aufgehoben bin. Hätte ich ein sterbenskrankes Kind – es gäbe keinen besseren Ort.“
Löwenherz-Stützpunkt in Braunschweig hat sich etabliert
Ebenfalls von Beginn an in Braunschweig dabei ist Koordinatorin Isa Groth. Anlässlich des fünften Stützpunkt-Geburtstags blickt sie nicht ohne Stolz auf das Erreichte zurück. „Am Anfang mussten wir erst mal passende Büroräume suchen, es gab ja noch gar nichts. Die ersten Auswahlgespräche mit Ehrenamtlichen haben wir an Bistro-Tischen aus dem Kinderhospiz in Syke geführt, an der Decke hingen keine richtigen Lampen.“ Doch das ist längst Geschichte. Der Löwenherz-Stützpunkt hat sich etabliert, in den vergangenen Jahren wurden insgesamt fast 50 Ehrenamtliche geschult, es gibt Kooperationen mit den Erwachsenen-Hospizvereinen aus Bad Harzburg, Goslar, Helmstedt und den beiden Hospizvereinen aus Hildesheim.

„Momentan freuen wir uns über 25 aktive Löwenherz-Ehrenamtliche und elf Ehrenamtliche unserer Kooperationspartner, die in der ambulanten Kinderhospiz-Begleitung tätig sind. Dazu werden wir von vier Ehrenamtlichen in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt“, berichtet Isa Groth. Im Oktober 2018 schloss sich zudem Koordinatorin Melinda Lechtenberg den Braunschweiger Löwenherzen an, und seit einem Jahr kümmert sich Tanja Lemke um die Verwaltung.
„Ich war glücklich über die Anfrage. Weil es mir gezeigt hat, dass mir die Eltern vertrauen.“
Monika Wels, Löwenherz-Ehrenamtliche
Für Monika Wels führte der Weg im Oktober 2015 zu Familie Speier. Ihr erster Einsatz. Und eine der ersten ambulanten Begleitungen von Löwenherz in Braunschweig überhaupt. Ob sie aufgeregt gewesen ist? „Eigentlich nicht. Ich sollte mich nämlich nicht um ein erkranktes Kind kümmern, sondern um den gesunden Bruder.“ Denn auch das gehört dazu: Die Begleiter*innen schenken ihre Zeit nicht nur den erkrankten Kindern, sondern auch den Geschwistern und Eltern. „Sebastian war damals vier Jahre alt, er mochte mir gerne beim Vorlesen zuhören und hat mir schon beim Erstgespräch gezeigt, wie toll er alleine Fahrrad fahren kann.“ Nach ein paar Besuchen verlor Sebastian dann aber die Lust, wollte lieber frei sein, mit gleichaltrigen Freunden spielen. Die Begleitung wird eingestellt. „Natürlich war ich zunächst traurig, aber es geht ja schließlich nicht um meine Bedürfnisse“, weiß die Vordorferin.
Rund eineinhalb Jahre später meldet sich Familie Speier erneut bei Löwenherz, wünscht sich erneut eine Begleitung. Dieses Mal allerdings für den schwerstkranken Tim. „Ich war richtig glücklich über diese Anfrage. Weil es mir gezeigt hat, dass mir die Eltern vertrauen“, beschreibt Monika Wels ihre Gefühle.
Sie weiß, was sie erwartet. Tim reagiert zwar auf Geräusche, mag Berührungen, kann sich aber nur per Augenkontakt mitteilen. Aber er mag ihre Stimme, entspannt sich beim Vorlesen, kommt zur Ruhe – das hatte seine Mutter schon bei ihren ersten Besuchen festgestellt. „Als ich das erste Mal alleine zu Tim ging, war ich sehr aufgeregt. Ich stellte mir die Frage: Was machst Du jetzt zwei Stunden mit Tim? Zum Glück waren seine Eltern bei den ersten beiden Besuchen im Haus, zwar mit anderen Dingen beschäftigt, aber greifbar. Das gab mir die nötige Sicherheit. Verhältnismäßig schnell haben sie dann aber die Zeit genutzt – alle 14 Tage am Samstagvormittag – um ganz in Ruhe Sport zu machen, in den Garten zu gehen oder Einkäufe zu erledigen.“
Familien und Ehrenamtliche können sich auf die Unterstützung von Löwenherz verlassen
In der Adventszeit des vergangenen Jahres macht Monika Wels eine Erfahrung, die sie nie vergessen wird. „Bei meinem ersten Adventsbesuch war Tim sehr ruhig, er wirkte niedergeschlagen, hatte oft die Augen geschlossen, schlief viel. Manchmal schaute er mich an, als wolle er sagen: Du nervst. Ich sagte ihm, dass ich beim nächsten Mal das richtige Buch mitbringen würde. Das Buch mit der Geschichte vom Weihnachtsmann, die ihm im letzten Jahr so gut gefallen hatte. Und das fantastische war: Er guckte mich an und gab mir zu verstehen, dass er mich verstanden hat. Das kann man gar nicht nachvollziehen, wenn man es nicht erlebt hat. Ich habe es in seinen Augen gesehen.“ Und tatsächlich: Beim nächsten Besuch freuen sich beide über einen wunderschönen Adventssamstag.
Es ist das letzte Mal, dass sie sich sehen. Tim stirbt Anfang Januar.
Während der Schulung zur ambulanten Kinderhospizbegleiterin wurde Monika Wels auch auf diesen unausweichlichen Moment des Abschiednehmens vorbereitet. Trotzdem kann sie die schreckliche Nachricht kaum fassen. Wie sie mit dieser Situation umgegangen ist? „Ich habe mit den Koordinatorinnen gesprochen, sie haben mich aufgefangen. Beim nächsten Gruppenabend haben wir das Löwenherz-Abschiedsritual gehalten: Wir haben eine Kerze für Tim angezündet, einen Schmetterling beschriftet und aufgehängt, und durch meine Erzählungen in diesem geschützten Kreis konnte ich Tim noch einmal leben lassen.“
„Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, nicht ständig zu hetzen.“
Melinda Lechtenberg, Löwenherz-Koordinatorin
Denn auch dafür steht Löwenherz. Es werden nicht nur betroffene Familien nach ihrem individuellen Bedarf begleitet, auch alle Ehrenamtlichen können sich auf die Unterstützung in schweren Lebenslagen durch Löwenherz verlassen. Melinda Lechtenberg weiß, worauf es dabei ankommt: „Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, nicht ständig zu hetzen. Auch ich musste das erst lernen. Und bei meiner Hospitation in Syke habe ich erfahren, wie wichtig Respekt und Achtsamkeit sind. Das hat mich total berührt. Und das geben wir an unsere Ehrenamtlichen weiter.“ In Braunschweig und der ganzen Region nun schon seit fünf Jahren.
Kinderhospiz-Stützpunkt Löwenherz Braunschweig
38102 Braunschweig

Tanja Lemke
Anmeldung | Verwaltung, Kinderhospiz-Stützpunkt Löwenherz Braunschweig

Melinda Lechtenberg
Koordinatorin Kinderhospiz-Stützpunkt Löwenherz Braunschweig