Wohngemeinschaften gibt es viele – doch die inklusive Löwenherz-WG in Hannover ist eine ganz besondere. Denn hier leben drei junge Menschen mit einer unheilbaren und lebenslimitierenden Erkrankung, gemeinsam mit aktuell zwei gesunden Menschen. In dieser Art einmalig in Deutschland. Nach den ersten Monaten lässt sich feststellen: Das Zusammenleben ist für alle Beteiligten eine echte Bereicherung.

Clara A. (21) und Benedikt T. (23) waren die ersten, die im März ihre WG-Zimmer bezogen haben. Beide haben schwere Stoffwechselerkrankungen, sie können nicht reden und sich nicht selbstständig bewegen. Trotzdem haben sich die Eltern für ihre Kinder immer ein Leben gewünscht, das von Teilhabe am ganz normalen Alltag geprägt sein soll. „Wir haben von Beginn an mit den betroffenen jungen Menschen und ihren Eltern gesprochen, wie so ein Wohnkonzept aussehen könnte“, sagt Gaby Letzing, Geschäftsführerin vom Kinderhospiz Löwenherz e.V. in Syke. Im Herbst ist mit Christian R. dann ein weiterer junger Mann mit Pflegebedarf eingezogen – und mit Anna und David auch die ersten beiden jungen Menschen ohne Handicap. Aber warum ist ihre Wahl auf die Löwenherz-WG gefallen?
Keine Berührungsängste in der Löwenherz-WG in Hannover
„Meine Schwägerin hatte mir damals die Löwenherz-WG in Hannover vorgeschlagen. Nach dem Treffen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern war mir klar, dass ich gerne dort einziehen möchte“, erinnert sich die 21-jährige Anna. „Da ich eine Ausbildung zur Krankenschwester mache, fand ich die Idee, in so einer Gemeinschaft zu leben, sehr schön.“ Natürlich sei ihr klar gewesen, dass man sich wie in jeder WG erstmal kennenlernen muss, aber: „Ich habe sehr schnell festgestellt, dass ich keine Berührungsängste zu haben brauche. Deswegen ist das Zusammenleben sehr schön und familiär. Auch in meinem Umfeld haben alle sehr positiv reagiert.“
„Das Leben in der WG bereichert mich und ermöglicht unglaubliche Erfahrungen“
David, Mitbewohner ohne Beeinträchtigung
Aus einem ganz anderen Umfeld – beruflich wie privat – stammt dagegen der 23-jährige David. Der junge Mann ist erst im Januar 2021 aus Kuba nach Deutschland gekommen, macht eine Ausbildung als Kaufmann für Büromanagement und wollte in Deutschland gerne in einer WG wohnen. Ihn reizte die Vorstellung, neue Leute kennenzulernen und die Erfahrung zu machen, gemeinsam mit unterstützungsbedürftigen Menschen zu leben: „Das Leben in der Löwenherz-WG in Hannover bereichert mich in dem Sinne, dass ich glaube, dass es mich zu einem besseren Menschen macht und mir die unglaubliche Erfahrung ermöglicht, zum Leben von Menschen mit Behinderung etwas beizutragen. Denn sie sind in der Lage, eine enorme Freude auszustrahlen.“
Für ein reibungsloses Zusammenleben sorgen derweil die Sonderpädagogin Doreen Eicke und die Heilpädagogin Felicia Balzer. „Wir schaffen einen Rahmen für Begegnungen in der WG, organisieren Koch- und Spieleabende oder gemeinsame Ausflüge. Wir schauen, was gerade gebraucht wird: Welche Anliegen haben Bewohner und Bewohnerinnen, Eltern, Pflegekräfte oder auch Nachbarn und Handwerker?“, beschreibt Doreen Eicke ihre Arbeit, die ein großes Maß an Flexibilität verlangt. „Neben der Alltags- und Freizeitgestaltung gehören aber auch Netzwerk- und Sozialraumorientierung zu unseren Aufgaben“, ergänzt Kollegin Felicia Balzer.
Pflegedienst übernimmt 1:1-Pflege in der Löwenherz-WG
Die notwendige 1:1-Pflege der erkrankten jungen Menschen übernimmt der „Ambulante Kinderkrankenpflegedienst Krank und klein – bleib daheim“. So sind tagtäglich etwa drei Pflegekräfte vor Ort, da kann es durchaus schon mal etwas voller in den Gemeinschaftsräumen werden. Besonders dann, wenn auch Freunde oder Familie zu Besuch sind. Doch noch ist Platz. Damit in Zukunft auch das vierte Zimmer an einen erkrankten Menschen vermietet werden kann, hofft und wartet die -Löwenherz-WG in Hannover auf mehr Personal für den Pflegedienst. „Die Pflegekräfte haben bei uns ausreichend Zeit für die Bewohnerinnen und Bewohner. Und wir Löwenherz-Pädagoginnen arbeiten in vielen Bereichen mit ihnen als Team. Immer in dem Wissen, dass wir nur Gäste in der WG sind“, sagt Felicia Balzer. Es sei, so Doreen Eicke, immer ein Spagat zwischen Teilhabe an der Gemeinschaft und angemessenem Rückzug.
Ansonsten gilt in der Löwenherz-WG, was auch in jeder anderen Wohngemeinschaft gilt: Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse der anderen, die Privatsphäre achten – und vor allen Dingen viel Spaß haben. Ob gemeinsame Abende im Garten zum Fußballschauen, die große Halloween-Party mit Eltern, Geschwistern und Freunden, Koch-Events, Ausflüge in die Stadt oder Filmabende – an sozialen Highlights mangelt es nicht. Und in einem sind sich alle einig: Die Löwenherz-WG ist trotz noch so großer individueller Unterschiede auch ein Ort der Gemeinsamkeiten. Ein Ort der Teilhabe, der Selbstbestimmung, des gemeinschaftlichen Lebens. Eigentlich genauso, wie jede andere WG auch.