Gerade einmal 500 Gramm wogen Mia und Fynn bei ihrer Geburt. Die Zwillinge kamen in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt, beide unter anderem mit schweren Hirnblutungen. Ihre Ärzte hatten wenig Hoffnung, Fynn wurde noch an seinem zweiten Lebenstag notgetauft, Mia nur einen Tag später. Heute, drei Jahre später, haben die Kinder einen ersten Teil ihres Weges gemeistert, genau wie Mutter Stefanie.
Auf dem Tisch in der Küche steht frischer Kuchen vom Bäcker, auch Waffeln mit Puderzucker liegen bereit. Dazu gibt es Wasser, Saft, Kaffee. Über den Fußboden im angrenzenden Wohnzimmer verteilt sich buntes Spielzeug, die Zwillinge machen Mittagsschlaf im Kinderzimmer – nichts deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass hier, in einem Haus im Neubaugebiet am Rande von Wildeshausen, die Uhren ein wenig anders ticken als in anderen Familien. Wobei „ein wenig“ deutlich untertrieben ist.
Die Zwillinge sind aufgrund der vielen Komplikationen bei ihrer Geburt stark entwicklungsverzögert. Fynn verfügt über keine Muskelkraft. Und da er auch keine wird aufbauen können, ist er durchgängig auf einen Rollstuhl angewiesen. Schwester Mia ist halbseitig gelähmt, ihre Sehkraft beschränkt sich auf ein Minimum. Für die alleinerziehende Mutter bedeutet das: ein Leben im Dauereinsatz, ein ständiger Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen der Organisation des Alltags und drohender Überlastung.
Ambulante Kinderhospizbegleitung: ehrenamtliche Unterstützung im Alltag
Sie kenne es nicht anders, der Alltag mit Pflege, Arztbesuchen, Haushalt und der ständigen Angst um die Kinder sei ihr „persönliches Normal“, sagt Stefanie. Und Unterstützung bekomme sie ja von ihrem familiären Umfeld. Ihre Eltern helfen, wo sie nur können. Auch deswegen habe es mindestens ein Jahr gedauert, ehe sie – auf Anraten der Kinderärztin – auf externe Unterstützung zurückgegriffen habe. Auf die Unterstützung von Löwenherz. Es sei ein langer Prozess gewesen, diese Unterstützung annehmen zu können. Dieser Prozess, die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation, mit der lebenslimitierenden Diagnose ihrer Kinder, sei schwierig, aber genau richtig und wichtig gewesen. Es tue einfach gut, nicht alleine zu sein.
Aus dem Kinderzimmer ertönt Kinderbrabbeln. Stefanie stellt ihren Kaffee beiseite, bereitet den Rolli für Fynn vor und holt die Zwillinge. Die Restmüdigkeit verschwindet schnell aus den Gesichtern der Zwillinge, ihre Augen weiten sich, als sie die bekannte Stimme hören. Tabea ist da.
Tabea arbeitet ehrenamtlich als ambulante Begleiterin für den Kinderhospiz-Stützpunkt Löwenherz Bremen. Sie begleitet und unterstützt die Familie in ihrem Alltag. Seit einem guten halben Jahr sind Stefanie, Mia und Fynn „ihre“ Familie. Tabea nimmt sich Zeit für die erkrankten Kinder und ist Gesprächsperson für die Mutter. Verlässlich, liebevoll und gut vorbereitet. Im Interview spricht die junge Frau über ihre Motivation, den Vorbereitungskurs und wichtige Dinge, die sie gelernt hat.
Ehrenamt in Wildeshausen: Für Tabea „total bereichernd“
Viele Menschen haben Berührungsängste mit den Themen Trauer, Tod und Sterben, können sich ein Ehrenamt im Hospiz- oder Kinderhospizbereich deswegen nicht vorstellen. Bei Dir war es anders. Warum?
Tabea: Ehrlich gesagt war es bei mir auch ein bisschen so. Meine Oma war in einem Hospiz, und ich dachte, dass es ganz schlimm wäre. Aber ich habe dort nur positive Erfahrungen gemacht, habe mit Ehrenamtlichen gesprochen und festgestellt: Das möchte ich auch machen!
Wie ging es dann weiter?
Tabea: Ich habe geschaut, welche Angebote es gibt und bin dabei auf den ambulanten Löwenherz-Stützpunkt in Bremen aufmerksam geworden. Der Kontakt zu den Koordinatorinnen und die ersten Gespräche waren super, also habe ich den Vorbereitungskurs mitgemacht.
„Ich bekomme so viel Wertschätzung und Dankbarkeit zurück“
Tabea, Löwenherz-Ehrenamtliche in Wildeshausen
Wie hat Dir dieser Kurs gefallen?
Tabea: Es war ein total bereichernder Austausch mit den Löwenherz-Mitarbeitenden und anderen Ehrenamtlichen, eine sehr intensive Zeit. Ich habe viel für, aber auch über mich gelernt.
In Wildeshausen sucht Löwenherz nach weiteren Ehrenamtlichen, um alle Anfragen abdecken zu können. Du kommst extra einmal pro Woche aus Bremen. Ist das nicht sehr aufwendig?
Tabea: Auf den ersten Blick vielleicht schon. Aber ich bekomme dafür ja auch so viel an Wertschätzung und Dankbarkeit zurück. Deswegen ist das gar kein Problem für mich. Ich verschenke meine Zeit gerne. Zeit zum gemeinsamen Essen, Zeit zum Spielen, Zeit zum Spazierengehen, Zeit für Ausflüge …
Darum geht es in der ambulanten Kinderhospizbegleitung, es geht ums Zeit schenken…
Tabea: Genau! Wir Ehrenamtlichen haben keinen pflegerischen, pädagogischen oder hauswirtschaftlichen Auftrag, wir müssen keine „Experten“ sein. Wir schenken Zeit.