Familie spricht über Erfahrungen
Palliative Geburt – „Würden es nie anders machen wollen“
Schwangerschaft, 12. Woche, Routine-Ultraschall – und plötzlich wird die Ärztin nervös. Es gibt Auffälligkeiten. Eine kurzfristige pränatale Untersuchung bestätigt den Verdacht: Eine Anhäufung von Fehlbildungen deutet auf Trisomie 13 oder 18 hin. Für Ina und Christoph beginnen Wochen und Monate voller Ungewissheiten. Hier sprechen Sie über die palliative Geburt und ihre Erfahrungen.

„Wir waren komplett überfordert“, erinnert sich Ina an die ersten Tage nach der pränatalen Untersuchung zurück. „Trisomie 13 oder 18, ein wahrscheinlich nicht lebensfähiges Baby – was macht man mit dieser ersten Information?“ Während für den Pränataldiagnostiker der Fall mit einer Abtreibung bereits klar zu sein schien, ist für Ina und Christoph etwas ganz anderes klar: Wir brauchen mehr Informationen. Wir brauchen mehr Zeit. Und ohne genaue Diagnose machen wir gar nichts.
In den kommenden Tagen stellt die Braunschweiger Beratungsstelle Achtung!Leben den Kontakt zur pränatalen Begleitung von Löwenherz her. Für die Eltern, die mit Silas und Jannes bereits zwei Söhne haben, ein echter Glücksfall. „Löwenherz-Koordinatorin Isa Groth war genau diejenige, die wir in unserer Situation brauchten“, sagt Christoph. „Sie hat uns ermutigt, alle möglichen Wege zu durchdenken. Das hat uns sehr geholfen, weil wir uns auch als Paar gedanklich im Kreis gedreht haben. Dank Löwenherz konnten wir unsere Meinung festigen und haben uns zunehmend in die gleiche Richtung entwickelt. Sie hat uns versichert, jeden Weg mitzugehen und für jede Entscheidung auch die entsprechenden Konsequenzen im Vorfeld aufzuzeigen.“
Eltern sprechen über Erfahrungen mit palliativer Geburt
Auf Basis dieser Erkenntnisse können die beiden eine Entscheidung treffen: Es soll eine palliative Geburt werden. „Auch heute sind wir immer noch fein damit. Wir bereuen nichts und hadern auch nicht mit unserem Umgang mit der damaligen Situation“, so Christoph. Und Ina ergänzt: „Eigentlich war immer klar, dass wir nicht abtreiben. Trotzdem wollten wir alles durchdenken. Aber spätestens in der 18. Woche waren wir uns sicher, dass wir den Weg unseres Kindes mitgehen werden. Und ich würde es auch nie anders machen wollen.“ Wichtig ist es für Christoph dennoch, zu betonen, dass er und seine Frau andere Entscheidungen niemals verurteilen würden.
Das endgültige Ergebnis für ihren ungeborenen Sohn, er soll Josse heißen, bekommen die Eltern in der 20. Schwangerschaftswoche. Freie Trisomie 18, das Edwards-Syndrom. Die Lebenserwartung beträgt im Schnitt nur ein bis zwei Wochen. Gerade bei Jungen ist auch der Tod noch während der Schwangerschaft sehr wahrscheinlich. Aber Ina und Christoph haben ein Ziel: Sie wollen ihren Josse kennenlernen.
Pränatale Begleitung von Löwenherz gibt Sicherheit
In den kommenden Wochen sprechen die Eltern alle Eventualitäten mit der Löwenherz-Koordinatorin durch. Mutterschutz, Beerdigung, die Möglichkeiten unter der Geburt, Gespräche mit Ärzten aber auch Bestattern – das Angebot der pränatalen Begleitung von Löwenherz gibt in vielen Bereichen Sicherheit. Es entsteht ein Handlungsplan, basierend auf persönlichen Grundwerten und Leitlinien. Für Ina und Christoph bedeutet das: Josse soll all das bekommen, was sein Leben verlängert, ohne dabei seine Lebensqualität zu beeinträchtigen. Eine Reanimation wird ausgeschlossen, Sauerstoff und Sondierung sind dagegen, wie bei allen Frühchen, ok. „Das Wissen darum hat mir in dieser Ausnahmesituation Sicherheit gegeben“, ist Ina dankbar.
Josse kommt nahezu termingerecht auf die Welt – und der größte Wunsch geht in Erfüllung! Die Familie lernt ihren Josse tatsächlich lebend kennen. Anfangs haben sie sogar Grund zur Hoffnung, Josse ist stabil und hat nur wenige organische Fehlbildungen. Nach zehn Tagen dann aber die Diagnose „schwerer Herzfehler“. Der Familie sollen nur wenige gemeinsame Wochen bleiben. Doch im Krankenhaus eine „echte“ Familie sein? Das funktioniert nicht. Zu fünft geht die nicht unkomplizierte Fahrt ins stationäre Kinderhospiz Löwenherz nach Syke bei Bremen. Dank der pflegerischen Versorgung und des medizinischen Backgrounds kann die Familie dort sogar „normale Alltagsdinge“ gemeinsam erleben, Zeit miteinander verbringen und Sicherheit im Umgang mit Josse erlangen.
Zwei Wochen sind sie im Löwenherz zu Gast. Zwei intensive Wochen, die als „ganz wichtige Station“ in Erinnerung bleiben. Einen letzten großer Wunsch hat die Familie dennoch: Josse soll sein Zuhause kennenlernen. Auch diesen Wunsch setzt Löwenherz um und organisiert den Transport. Begleitet vom Palliativ-Team und Löwenherz bleiben der Familie noch zweieinhalb fast normale Wochen im eigenen Haus. Dann verabschiedet sich Josse und stirbt zu Hause im Kreise seiner Familie.
„Ganzheitliche Begleitung bei palliativer Geburt wirklich wichtig“
In dieser schweren Phase ist Löwenherz ebenfalls präsent, kümmert sich um die Eltern genauso wie um Silas und Jannes. „Wir hätten nicht gewusst, was wir ohne die Unterstützung von Löwenherz hätten machen sollen. Die Ganzheitlichkeit der Begleitung ab der Diagnose bis zum Tod und auch darüber hinaus war wirklich wichtig für uns. Wir können allen Menschen in solch einer Situation nur raten, sich frühzeitig Hilfe zu holen“ sagen Ina und Christoph rückblickend.
Und heute? Immer, wenn ein gemeinsames Essen ansteht, ist Josse mit dabei. „Wir denken an dich, Josse“, heißt es dann. Ein Ritual, das Silas und Jannes eingeführt haben, um ihren Bruder niemals zu vergessen. Denn die Familie ist sich einig: Die Zeit mit Josse hat ihr Leben bereichert.