Sabine Mail arbeitet seit sechs Jahren in der Pflege im Löwenherz. Sechs Jahre, in denen sie gemeinsam mit Jugendlichen viel gelacht, viel geredet und viel dazugelernt hat.
Große Aufregung herrscht im Zimmer der 14-jährigen Leonie. Es ist zehn Uhr abends. Die Vorbereitungen laufen im vollen Gange. Die Pizzabotin liefert dreimal Margherita und zweimal Salami. Pflegerin Sabine ist noch etwas unschlüssig, ob ihre Entscheidung wirklich die richtige war. Sie legt die DVD des Konzertmitschnitts ein. Alle Augenpaare starren auf das Flackern des Bildschirms. Zufriedenheit ist in den Gesichtern der fünf schwerkranken Jugendlichen zu erkennen. Es wird Musik gehört, gequatscht und gelacht. Leonie, die Gastgeberin, strahlt.
„Immer, wenn ich diese schöne Anekdote zum Besten gebe, schauen mich die meisten Menschen mit Verwunderung an“, erzählt Pflegerin Sabine. „Aber genau das gehört auch zum Alltag im Jugendhospiz. Hier sind die sonst so strikten Regeln ein wenig außer Kraft gesetzt. Und das ist gut so.“
„Autonomie und „Normalität“ ist das, was die Jugendlichen bei Löwenherz erfahren wollen.
Pflegerin Sabine Mail
Selbstbestimmung und Abgrenzung
Normalität, Autonomie und eine lebensbegrenzende Erkrankung – wie passt das zusammen? Bei Löwenherz ganz hervorragend. Denn genau darauf basiert die Pflege im Jugendhospiz. „Natürlich sind auch wir als Pflegerinnen an die medizinischen Vorgaben gebunden. Aber wir versuchen immer, das bestmögliche für unsere Jugendliche zu erreichen. Bestmöglich im Sinne von: Selbstbestimmung und Abgrenzung zu den Eltern.“
Und was ist mit denen, die ihre Bedürfnisse nicht in Worte packen können? Wie erreicht man einen Jugendlichen, der ausschließlich nonverbal kommuniziert? „Hier ist das ganze Geschick der Pflegekraft gefragt. Es sind Stimmungen, die wir einfangen müssen. Die Körpersprache ist, auch ohne Worte, zumeist recht eindeutig“, erzählt Sabine Mail und erinnert sich an folgende Geschichte: Ein 17-jähriger Gast im Jugendhospiz sollte morgens für einen Ausflug mit seinen Eltern vorbereitet werden. Aber irgendetwas stimmte nicht. Während der morgendlichen Grundversorgung spürte Sabine Mail, dass der Jugendliche sehr verkrampft wirkte – auch die Darstellung am Monitor zeigte das deutlich. Also begann die Pflegerin, den Gast mit Kinaesthetikübungen und Zuspruch zu beruhigen. Nach und nach setzte die Entspannung ein und die Verkrampfung löste sich. Eine dreiviertel Stunde später als geplant startete der Junge mit seiner Familie den geplanten Ausflug. Im Nachhinein bedankte sich die Mutter für das rücksichtsvolle Verhalten der Pflegerin.
Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass sich ein Zustand extrem verschlechtert und auch zum Tode führen kann. Das ist Teil unserer Arbeit.
Sabine Mail, Pflegerin im Jugendhospiz
„Das Problem ist, dass die Eltern im Alltag oft einen sehr straffen Zeitplan haben: Physiotherapie, Arztbesuche oder Logopädie, da ist es nicht immer so einfach, einen Termin zu verschieben. Bei Löwenherz herrscht eine andere Zeitrechnung. Hier sollen alle zur Ruhe kommen und im besten Fall zu sich selbst finden.“
Umgang mit Krisen
Was aber, wenn aus einem alltäglichen Zustand eine krisenhafter wird? Wenn der Tod droht? Sabine Mail und das gesamte Löwenherz-Team sind auf diese Situationen vorbereitet. „Jeder Moment ist anders. Ein krisenhafter Zustand kann bei unseren Gästen durch alles Mögliche hervorgerufen werden. Wir müssen als Team jederzeit damit rechnen, dass sich ein Zustand extrem verschlechtert und auch zum Tode führen kann. Das ist auch ein Teil unserer Arbeit.“ Regelmäßige Supervisionen sorgen für die notwendige Verarbeitung solcher Extremsituationen. Dennoch, enorm belastend sind solche Phasen immer.
Die Pflegerin wird nachdenklich: „Natürlich, es gibt Berufe, die physisch und psychisch nicht so an einem nagen, aber die positiven Momente überwiegen allemal. Gerade die Pflege bei Löwenherz ist anders. Wir alle hier möchten das Bestmögliche für unsere Gäste im Hospiz. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf kümmern wir uns jeden Tag aufs Neue um unsere Schützlinge.“