Rückenschmerzen. Kaum eine Berufsgruppe leidet mehr darunter als Krankenschwestern und Pflegepersonal. Ute Jöllenbeck, stellvertretende Pflegedienstleitung und Krankenschwester im Kinderhospiz Löwenherz, weiß um dieses Problem. Als MH Kinaesthetics-Trainerin hat sie ein besonderes Auge für die Qualität von Bewegung in der Pflege. Im Interview spricht sie darüber.
Warum ist es gerade in der Pflege so wichtig, auf die eigenen Bewegungen zu achten?
Während der täglichen Arbeit schleichen sich schnell Nachlässigkeiten in die unterschiedlichsten Bewegungsabläufe ein. Verspannungen und Schmerzen, speziell Rückenschmerzen, sind dann kein Wunder. Dabei kann die körperliche Belastung bei der Pflege erheblich reduziert werden, wenn Kinder und Jugendliche in ihrer jeweils eigenen Bewegung unterstützt werden statt diese selbst zu übernehmen. Bei Löwenherz legen wir darauf großen Wert, zum Beispiel mit Maietta Hatch (MH) Kinaesthetics.
Was genau ist MH Kinaesthetics?
Es handelt sich dabei um die Lehre der menschlichen Bewegung. Die Art, wie Menschen in Alltagsaktivitäten das Gewicht ihres Körpers, das Gewicht von Gegenständen und anderen Menschen – zum Beispiel eines erkrankten Kindes oder Jugendlichen – in der Schwerkraft bewegen, hat einen positiven oder negativen Einfluss auf ihre Gesundheits-, Lern- und Denkprozesse. Die Begründer der MH Kinaesthetics sind die beiden Amerikaner Lenny Maietta und Frank Hatch. Erkenntnisse und Grundlagen aus der Verhaltenskybernetik, der Medizin, Physik und der Neurowissenschaft bilden den wissenschaftlichen Hintergrund.
In welchen Situationen ist MH Kinaesthetics besonders hilfreich?
Gerade bei der Unterstützung von erkrankten Kindern und Jugendlichen in der Pflege bei uns im Löwenherz hilft mir mein Bewegungsverständnis. Zum Beispiel um Lösungen zu finden, wie ich das Gewicht eines Kindes bewegen kann, anstatt es über meine Kraft zu heben und damit meinen Körper unnötig zu belasten. Außerdem behält das Kind dadurch die Kontrolle über seine Bewegung. Dadurch entsteht ein sehr partnerschaftlicher Umgang. Nicht „Ich bewege dich“ sondern „wir bewegen uns miteinander“.
„Mir ist es sehr wichtig, auf die eigene Bewegung bei der Pflege zu achten und damit die eigene Gesundheit zu erhalten“
Ute Jöllenbeck, stellvertretende Pflegedienstleitung bei Löwenherz und Kinaesthetics-Trainerin.
Im Löwenherz haben wir die Umgebung unseren Bedürfnissen angepasst: Überall im Haus finden sich Rollhocker, die Liegepodeste in der großen Oase haben eine praktische Höhe und das Sofa im Down Under ist ebenfalls erhöht, damit es mit dem Lifter unterfahrbar ist. Selbst in der Küche vom Kinderhospiz wurde eine Spülmaschine auf Arbeitshöhe eingebaut.
Wie kommt MH Kinaesthetics bei den Mitarbeiter*innen an?
Ich höre immer wieder von Kolleginnen und Kollegen, die ganz begeistert sind, wenn sie die entsprechende Fortbildung gemacht haben. Und was man nicht vergessen darf: Wer die neu erlernten Bewegungsabläufe und -techniken verinnerlicht hat, profitiert ja nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben davon.
Du bist selbst Kinaestheticstrainerin. Welche Schwerpunkte verfolgst bei Deinen Fortbildungen?
Mir ist es sehr wichtig, auf die eigene Bewegung bei der Pflege zu achten und damit die eigene Gesundheit zu erhalten und positiv zu beeinflussen. Außerdem ermutige ich dazu, die Fähigkeiten – und seien sie noch so gering – der erkrankten Kinder und Jugendlichen bei allen pflegerischen und sonstigen Aktivitäten zu entdecken und mit einzubeziehen.
Für welche Berufsgruppen eignet sich Kinaesthetics?
Prinzipiell für alle Menschen! Da es sich um ein Analysewerkzeug handelt, kann ich es für jede Alltagsaktivität nutzen. Egal, ob ich Schmerzen in meinem Körper habe, einen anderen Menschen bei Bewegung unterstütze, am Schreibtisch vor meinem Computer sitze, schwere Gegenstände von A nach B transportiere oder den langen Flur zwischen Kinder- und Jugendhospiz wische.
